Stadt

"Auch aus Steinen, die einen in den Weg gelegt werden, kann man schönes bauen." - Johann Wolfgang von Goethe

„Golden“ – so werden zwei Jahrzehnte des letzten Jahrhunderts beschrieben: die 20er und die 50er. Beides haben gemeinsam, dass sie durch Weltkriege eingeleitet wurden. Die Corona-Pandemie ist kein Welt­krieg, kann jedoch in vielen Aspekten mit einem verglichen werden. Ausgangs­sperren, einsame Einkaufs­straßen, Bankrott unzähliger Unternehmen, Arbeits­losigkeit und finanzielle Nöte, staatliche Eingriffe in Wirtschaft und Privat­leben, Bereit­schaft der Menschen zur stück­weisen Aufgabe ihrer Freiheit, Staats­verschuldungen und Banknoten­produktion in Rekordhöhe, verminderte Produktion und der Tod von mehreren Millionen Menschen.

Dieses düstere Bild ist kein Grund für Pessimismus, im Gegenteil: Im Hinblick auf die kommenden Jahre kann die gegenwärtige Situation als Quelle der Hoffnung und des Optimismus gesehen werden. Im Ersten Weltkrieg hat die Konkurrenz um hochwertigere Panzer die Entwicklung von Automotoren beschleunigt. Außerdem haben sich nach dem Krieg viele soziale Strukturen wie das Ersetzen der Monarchien durch demokratische Regierungen und das heutige Bildungs­system gefestigt (1918 Fischer Act in GB, Reichsgrundschulgesetz von 1920 in der Weimarer Republik, die Verdoppelung der Schüleranzahl in den USA zwischen 1910 und 1920). Auch das Frauenwahlrecht hat sich in dieser Zeit etabliert. Der Zweite Weltkrieg beschleunigte die Entwicklungen in der Luftfahrt. Außerdem entsprangen als Prävention vor solchen Kriegen Institutionen wie die UN oder die EU. Dies sind alles Entwicklungen, die es bereits gab und die nach dem Krieg Beschleunigung erfahren haben. Die Kombination aus Industr­ialisierung, Arbeiter­bewegungen und Welt­kriegen ließ die Welt entstehen, in der wir heute leben. Das Zusammenwirken von Digitalisierung, der Pandemie und den Umweltbewegungen werden die Welt des 21. Jahrhundert formen.

Mit der Entwicklung mehrerer Impfstoffe gegen das Coronavirus und die gestarteten Impfkampagnen lassen nun hoffen, dass diese Zeit bald beginnen wird. Die bevorstehende Herausforderung ist es nun, aus diesem Fundament die Zukunft zu bauen und vom Reagieren ins Agieren zu wechseln. Die essentiellen Reaktionen auf eine Krise, die den Menschen das Überleben sichern, bilden das Fundament für die Welt nach der Krise. Reaktion ist aber kein Aufbau. Um am Aufbau den größtmöglichen Anteil zu sichern, müssen nicht nur Start-ups und Neueinsteiger, sondern auch etablierte Unternehmen und Marktführer als Herausforderer und Pioniere agieren. Tat­kräftig und inno­vativ, die Risiko­aversion runterschrauben und neue Wege erkunden.

Die Beschleunigung des digitalen Wandels, soziale, wirtschaftliche und medizinische Präventions­maßnahmen für mögliche Krisen sowie das gestiegene Bewusstsein, dass unsere Systeme anfällig für Außeneinwirkungen sind, werden die 20er des 21. Jahrhunderts dominieren. Auch wenn die Corona-Pandemie kein Resultat der Umweltverschmutzung und der globalen Erwärmung ist, hat die Pandemie den Menschen vor Augen geführt, dass wir nicht unantastbar sind und äußere Umstände unser Leben auf den Kopf stellen können. Dies gleicht einem Menschen, der nach einer schweren Krankheit ein gestiegenes Gesundheits­bewusstsein bekommt. So wird die Sensibilität bei Themen wie dem Treibhaus­effektes sowie die Bereitschaft, Opfer zu bringen steigen. Die Krise hat viele wachgerüttelt. Wir sind nicht unantastbar! Ein kleiner Virus hat die Welt verändert. Schlimme Umweltszenarien und Krisen sind durchaus möglich. So sind auch viele Geschäftsführer deutlich mehr an Nachhaltigkeit interessiert als vorher.

Eine Krise bringt stets Gelegenheiten mit sich. Der Einbruch einer neuen Ära setzt viele neue Hypothesen voraus. Hohe Staatsverschuldungen und Banknotenproduktion, kombiniert mit sinkender Produktion kann in den kommenden Jahren zu einer Hyperinflation in globalem Ausmaß führen, was die Rolle der Kryptowährungen neu definieren und die Weltwirtschaft revolutionieren kann. Strukturen von Unternehmen wurden z.Z der Industrialisierung geformt und ersetzten veraltete Meisterbetriebe. Nun sind es die Strukturen der Industrialisierung, die veraltet sind und sie werden ersetzt. In der neuen Zeit müssen die Hierarchien viel flacher gehalten und Entscheidungen denen überlassen werden, die an dem Thema arbeiten. Führungskräfte sollten nur bei übergreifenden Themen entscheiden. Chefs müssen nicht als Bosse, sondern als eine Art Coachs und Vermittler agieren. Kleinigkeiten machen häufig den Unterschied.

Um neue Hypothesen aufzustellen, müssen viele Tests gemacht, viele Daten gesammelt, viel ausprobiert und sehr viel gelernt werden. In der Wissenschaftstheorie findet eine Theorie Akzeptanz durch empirische Nachweise. Im Anschluss werden alle Ergebnisse, die mit der Theorie nicht übereinstimmen, so lange angepasst oder verworfen, bis die Theorie nicht mehr haltbar ist und es zu einem Paradigmenwechsel kommt. Die große Anzahl der neuen Ergebnisse formt dann das nächste Paradigma. Einer ähnlichen Situation stehen jetzt die Wirtschaft und Gesellschaft bevor. Jene, die wagen, ausprobieren, fallen und wieder aufstehen, werden das nächste Paradigma formen.

Dabei geht es nicht nur um digitale Kanäle und Automatisierung. Es sollten nicht die alten Modelle verbessert, sondern komplett neue Modelle installiert werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass eine neue Identität her muss, im Gegenteil! An der Unternehmenspolitik von zukunftsorientierten Marktführern wie Apple und Google wird klar: Finanzielle Motivation ist nur noch ein Bein des Tripods zur optimalen Förderung von Angestellten. Die Zugehörigkeit zu einer starken Firmenidentität und die eigene Wertschätzung der Mission des Unternehmens zu dienen, werden der Treibstoff einer leistungsorientierten Gesellschaft sein. Vor allem die fallenden Transaktionskosten zwingen Firmen, ihre Existenzgrundlage nicht nur auf Pragmatismus zu stützen. Falls dies noch nicht geschehen ist, sollte daher jede Institution die eigene Identität und ihre Mission herausfiltern, bekräftigen und Vermarkten. Es sollten subtile Wege gesucht werden, den Mitarbeitern das Gefühl der Zugehörigkeit elegant zu vermitteln. Dazu ist es natürlich auch von großer Bedeutung, auf die Gesundheit und das Wohlergehen der Mitarbeiter großen Wert zu legen.

Vor zwei Jahren hatten Kompetenzen in Krisen­management, Unternehmens­agilität, Kosten­management, Mitarbeiter­resilienz, Inno­vation und Cash­flow Management einen geringeren Stellenwert für Führungskräfte, als es Heute der Fall ist. Eine weitere wichtige Auswirkung der Pandemie ist das gestiegene Vertrauen der Unternehmen auf die eigenen Fähigkeiten und auf digitale Kanäle. Um die Krise zu meistern, wurden überwiegend keine neue Software gekauft, sondern die Alte besser ausgenutzt.

Ein wichtiger Faktor, der noch nicht genug ins Bewusstsein der Führungskräfte eingedrungen scheint, ist der erhöhte Stellenwert der Kundenerfahrung. Vom Marketing bis hin zur Nutzung der Produkte, muss die Kundenerfahrung perfektioniert werden. Der Einsatz von künstlicher Intelligenz und Digitalisierung sollte als Werkzeug zur Optimierung der oben genannten Punkte genutzt werden.

Um Krisenresistenz zu sein, müssen die Lieferketten diversifiziert werden. Der Ausfall eines Anbieters muss zügig durch andere ersetzt werden können. Weiterhin von großer Bedeutung ist das Bilden eines Ökosystems um die eigene Dienstleistung oder das Produkt. Partnerschaften, die eine Plattform bilden, aus der alle Beteiligten profitieren. So wird auch die Krisenresistenz erhöht. Als Beispiel ist Amazon zu nennen, der aufgrund der eigenen Resilienz sehr viele Unternehmen, denen es eine Plattform bietet, vor dem Bankrott bewahrt hat.

Der nächste wichtige Punkt ist der Online-Direktvertrieb an den Kunden. Im Jahr 2020 stieg der Anteil von E-commerce so stark an, wie es in den nächsten 10 Jahren erwartet wurde. Um den Onlinedienst zu optimieren, müssen neue Business- und Preismodelle her und die Mitarbeiter müssen neue Fähigkeiten erlernen. Die Talente des Personals sowie ihre Schulung werden stets wichtiger. Vor der Industrialisierung war Talent das Wichtigste, wenn es um Produktion ging. Mit der Zerlegung der Produktion in ihre einzelnen Schritte und Aufteilung der Aufgaben, die im Laufe der Zeit immer mehr von Maschinen übernommen wurden, verloren Talente immer mehr an Bedeutung. Nun ist man jedoch so weit gekommen, dass die Bedienung dieser Maschinen erneut durch Maschinen getätigt werden kann, wodurch der Produktionsprozess komplett automatisiert wurde und es keinen Platz mehr für Personal ohne Fähigkeiten gibt. So gewinnen Talente, die zur Entwicklung, Implementierung und Bedienung dieser komplexen Systeme erneut an Bedeutung. Geschäftsführer wollen in den nächsten zwei Jahren mehr ihre Unternehmen optimieren und der Digitalisierung anpassen als zu expandieren.

Das Ausmaß der internen und externen Vernetzung der Glieder der Gesellschaft macht die Cybersicherheit zu einem sehr sensiblen und wichtigen Thema. Damit eine digitale Gesellschaft überhaupt ermöglicht werden kann, muss der Sicherheitsstandard des Netzes deutlich angehoben werden. Ein kleiner Rückblick kann einiges über die Zukunft erahnen lassen. Im Nationalsozialismus wurde eine Art Personalausweis, die „Kennkarte“ für Juden und Männer im kampffähigen Alter eingeführt. Nach dem Fall des Regimes am Ende des 2. Weltkrieges wurde dieses Gesetz jedoch nicht aufgehoben, sondern auf die gesamte Bevölkerung erweitert und besteht in ähnlicher Form noch heute. Dokumente zum Nachweis der Identität gibt es schon seit Jahrtausenden. Doch mit der Industrialisierung, der Einführung von Parlamenten und der damit obligatorischen Einführung einer unparteiischen Polizei, Grund- und Bürgerrechten und der fortschreitenden Technologie, wurden die Ausweise zum Identitäts­nachweis immer Informativer, sodass heute vom Fingerabdruck bis hin zur digitalen Gesichtserkennung alles enthalten ist. Angewandt auf unsere heutige Situation, werden sich die IP-Adressen und Standorterkennung zu einem umfassenden Identitätsnachweis formen. Der Trend seit Einführung des Internets bestätigt diese Annahme. Anonymität im Netz wird so wie wir es kennen, mit großer wahrscheinlichkeit nicht mehr existieren. Die Entwicklung eines digitalen Polizeiapparates sieht auch unausweichlich aus.

Viele Unternehmen, insbesondere Kleinunternehmen, sind pleite gegangen. Das heißt aber auch, dass eine Armee an Menschen mit viel Eigeninitiative neue Möglichkeiten sucht. 2020 sind im dritten Quartal in den USA knapp doppelt so viele neue Geschäfte angemeldet worden, wie im selben Zeitraum 2019. Gerade für privates Eigenkapital, außerbörsliches Eigenkapital weltweit über 1.5 Billionen ergeben sich besonders gute Chancen. Von ihnen werden sicherlich viele Investitionen kommen.

Urlaub und Vergnügungsreisen werden sicher wieder steigen, aber Businessreisen werden 2021 weiterhin gering bleiben. Wenn die ersten Unternehmen wieder zu physische Treffen übergehen, wird das die Konkurrenz jedoch zwingen mitzuziehen. Die Möglichkeit von Homeoffice wird die Städte entlasten, und die Immobilienpreise für Büros und Wohnungen in den Ballungsräumen werden fallen.

Das Gesundheitswesen wird sich auch im Hinblick auf Krisenprävention entwickeln müssen. Der Schwerpunkt Richtung Diagnose und Behandlung muss in Richtung Prävention und Gesundheitsförderung justiert werden. Zudem müssen die Erfassung von Patienten und die Organisation einheitlich effektiv in digitaler Form geregelt werden, um künftig in Krisensituationen zügig agieren zu können.

Die Entwicklung und der Einsatz eines mRNA-Impfstoffs könnte eine Barriere durchbrechen, die zu einem komplett neuen Verständnis von Medizin führt. Gepaart mit den Möglichkeiten, die aus der Digitalisierung, der zügigen Analyse von großen Datenmengen und der künstlichen Intelligenz kommen, wird die Gentechnologie die Medizin revolutionieren. Eine Art Präventionsmedizin könnte das Entstehen von Krebs verhindern. Gewebe und Organ­trans­plan­tationen könnten mit künstlich hergestelltem organischem Material erfolgen. Genetisch bedingte Krankheiten oder solche, die von Insekten übertragen werden, könnten kuriert werden und Autoimmunerkrankungen könnten umgekehrt werden. Sollten RNA-Therapien erfolgreich sein, kann nämlich der nächste Schritt eine Therapie, die direkt die DNA anspricht sein. Welche Nebenwirkungen und Effekte dabei auftreten werden, lässt sich natürlich nicht voraussagen. Der Eingriff in Genom des Menschen wurde schon immer mit Skepsis betrachtet. Die schweren Umstände der Pandemie hat diese Skepsis bei vielen Menschen heruntergeschraubt und die Bereitschaft erhöht und sie förmlich gezwungen, ihre Sorgen über Bord zu werfen und den Pharmaunternehmen zu vertrauen. Neben der Beschleunigung der Entwicklung ist im Bezug auf neuartige Pharmaka, dies wohl die wichtigste Folge der Corona-Krise. Wie auch in der Chirurgie wird diese Entwicklung mit der Zeit sicherlich auch zu kosmetischen Zwecken angewandt werden.

Die Gentechnologie findet allerdings auch Anwendungen außerhalb der Medizin, wie die Land- oder Energiewirtschaft. In der Landwirtschaft ist sie schon seit vielen Jahren ein wichtiger Bestandteil. Mit fortschrittlicheren Methoden könnten wetter- und krankheitsresitentere Pflanzen oder die Fixierung von Stickstoff in der Erde, die gegen den Treibhauseffekt wirkt und Pflanzen effektiver wachsen lässt. Die Auswirkungen für die Energiewirtschaft können auch enorm ausfallen. Genetisch modifizierte Bakterien im Einsatz zur Herstellung von Treibstoffen könnten die Energieindustrie nachhaltig prägen.

Die Fähigkeit, Gene von Mikroorganismen modifizieren zu können, beherbergt eine schier unbegrenzte Anzahl an Innovationen und Möglichkeiten, die in den nächsten Jahrzehnten für rasante Entwicklungen sorgen werden. Diese Revolution wird angetrieben vom rasanten Anstieg der Rechenleistung und neuen Möglichkeiten in den Bereichen KI, Automatisierung und Datenanalyse, die das Innovationstempo und das Potenzial für eine höhere Forschungsproduktivität in den Life Sciences beschleunigen werden.

Egal aus welcher Perspektive auf die Umstände geschaut wird und welche Aspekte berücksichtigt werden: Die Krise hat den Wandel ungemein beschleunigt! Springen Sie in den Strom, anstatt den Innovationsfluss an sich vorbeifließen zu lassen.